Wegzugsteuer und Steuerentstrickung
Als
Steuerentstrickung wird ein Vorgang bezeichnet, bei dem stille Reserven
eines Wirtschaftsguts im Betriebsvermögen, das der Besteuerung
des deutschen Finanzamts entzogen werden soll, aufgedeckt werden.
Dies
erfolgt regelmäßig im Rahmen des Wegzugs eines Gesellschafters einer
Kapitalgesellschaft oder durch Verlagern von Betriebsvermögen ins
Ausland.
Da in den meisten Doppelbesteuerungsabkommen, so auch im deutsch-spanischen DBA,
das Besteuerungsrecht am Gewinn aus einem Verkauf dem Wohnsitzstaat
zusteht, soll in diesen Fällen verhindert werden, dass das
Besteuerungsrecht dem Wegzugsland zugunsten des Zuzugslands verloren
gehen könnte. Damit es dadurch nicht zum Abschluss oder einer
Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland
hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines
Wirtschaftsguts kommt, wird eine Veräußerung oder Überlassung des
Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert fingiert (vgl. § 12 KöStG, 4 Absatz 1 Satz 5, § 4g und § 15 Abs. 1a EinkStG), es kommt zur Wegzugsteuer.
Verlegt
eine natürliche Person, die eine in- oder ausländische Beteiligung
i.S.d. § 17 EStG hält, also Anteile an einer Kapitalgesellschaft
(Aktien, Anteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung,
Genussscheine oder andere Beteiligungen und Anwartschaften auf solche
Beteiligungen) im Privatvermögen hält, ihren Wohnsitz ins Ausland, kommt
eine fingierte Abschlussbesteuerung nach § 6 AStG in Betracht. Bei
Wegzug eines Betriebs kann es zu einer fingierten Betriebsaufgabe bei
Betriebs- und Teilbetriebsverlagerung ins Ausland gem. § 16 Abs. 3a EStG
kommen.
Der steuerliche Wegzug juristischer Personen kommt durch
Verlegung von Sitz und Ort der Geschäftsleitung oder durch
Hinausverschmelzung in Betracht (vgl. §§ 2, 123 Abs. 1 und 2 des
Umwandlungsgesetzes oder vergleichbare ausländische Vorgänge sowie des
Artikels 17 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 und des Artikels 19 der
Verordnung (EG) Nr. 1435/2003).
Eine Abschlussbesteuerung kann grds.
in beiden Fällen nur dann vermieden werden, wenn das deutsche
Besteuerungsrecht erhalten bleibt (Grds. der Verhaftung stiller
Reserven).
Mit Wirkung ab 1.1. 2022 hat der Bundestag am 21.5.2021 das Gesetz zur Umsetzung der Antisteuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz)
beschlossen. Mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz (ATADUmsG) sollen Art. 5
(Entstrickungs-, und Wegzugsbesteuerung) sowie Art. 9, 9b (Hybride
Gestaltungen) der ATAD („Anti Tax Avoidance Directive“) der EU in ein
nationales Gesetz umgesetzt werden und die Hinzurechnungsbesteuerung
(Art. 7 und 8 ATAD) reformiert werden.
Die Reform der
Hinzurechnungsbesteuerung hat die Bekämpfung niedrigbesteuerter
Einkünfte grenzüberschreitend agierender Unternehmen zum Ziel.
Die
Reform der Entstrickungs- und Wegzugsbesteuerung betrifft die
Besteuerung stiller Reserven im Fall des Wegzugs oder der Überführung
einzelner Wirtschaftsgüter ins Ausland und die Möglichkeit der
zeitlichen Streckung der Besteuerung.
Die Verhinderung hybrider
Gestaltungen soll die mehrfache oder ungerechtfertigte Berücksichtigung
von Betriebsausgaben vermeiden.
Auf Grund der Stundungsregelung des § 6 Abs. 5 AStG besteht die Möglichkeit bei einem Wegzug innerhalb von Europa bis zum 31.12.2021 die festgesetzte Wegzugsteuer zinsfrei und ohne Sicherheitsleistungen stunden lassen zu können.
Wegzugsteuer durch Vermögensnachfolge
Aus
dem Umstand, dass § 6 AStG nur Regelungen für Gesellschafter einer
Kapitalgesellschaft trifft, wird zumeist geschlossen, dass die
Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen nur solche Gesellschafter trifft
und, dass eben auch nur ein physischer Wegzug zum Auslösen der
Besteuerung führt. Die Auswirkungen gehen aber erheblich weiter.
Zwar
kommt es grds. nur zu einer Besteuerung bei einer Aufgabe des
Wohnsitzes bzw. des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland (§ 6 Abs. 1, S. 1
AStG). Eine Wegzugsteuer kann aber auch ohne einen physischen Wegzug
durch eine bloße Vermögensnachfolge ausgelöst werden, wie z.B. durch
einen unentgeltlichen Erwerb von Anteilen iSv. § 17 Abs. 1, S. 1 EStG
durch Personen, die keiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht in
Deutschland unterliegen (§ 6 Abs. 1, S. 2 Nr. 1 AStG). Das heißt, der
Tod eines Anteilseigners oder eine Schenkung von Geschäftsanteilen zu
Lebzeiten an eine im Ausland steuerlich ansässige Person kann zur
Wegzugsbesteuerung führen.
Zweck des § 6 AStG ist die Besteuerung
des latenten Vermögenszuwachses, also der Wertsteigerungen einer grds.
mindestens 1-prozentigen Beteiligung als fiktivem Veräußerungsvorgang im
Rahmen der Einkommensteuer.
Da in den meisten
Doppelbesteuerungsabkommen, wie auch im deutsch-spanischen DBA das
Besteuerungsrecht am Gewinn aus dem Verkauf von privat gehaltenen
Anteilen an einer Kapitalgesellschaft dem Wohnsitzstaat zusteht (Art. 13
Abs. 6 DBA Spanien Deutschland), könnte ansonsten im Fall eines Wegzugs
das Besteuerungsrecht dem Wegzugsland zugunsten des Zuzugslands
verloren gehen.
Die Regelungen des Außensteuergesetzes eröffnen zur
Vermeidung dieses Sachverhalts die Möglichkeit die in privat gehaltenen
Anteilen verkörperten, gebildeten stillen Reserven von
Kapitalgesellschaften an denen der Gesellschafter beteiligt ist, im
Zeitpunkt des Wegzugs ins Ausland oder der gleichgestellten
Vermögensnachfolge von Steuerausländern anteilig als fiktiven
Veräußerungsgewinn zugrunde zu legen und zu besteuern, ohne dass diese
Anteile tatsächlich liquide gemacht werden (sog. dry-income).
Ausnahmen vom Grundsatz des Besteuerungsrechts des Wohnsitzstaats können für Immobiliengesellschaften gelten. Gemäß Art. 13 Abs. 2 des deutsch-spanischen DBA liegt das Besteuerungsrecht von Kapitalanteilen für Gesellschaften mit einem Immobilienvermögen von mind. 50% primär beim Belegenheitsstaat.
Auch ohne Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft kann es im Falle des Wegzugs durch die Verlagerung von Vermögen zu einer Besteuerung in Deutschland kommen.
Wegzugsteuer Einzelunternehmen und Personengesellschaften
Während die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG sich auf die Gesellschafterebene bezieht, auf der grds. nur Dividenden und Veräußerungsgewinne besteuert werden, hingegen die Ansässigkeit der Gesellschaft grds. nicht von dem Wegzug ihrer Gesellschafter betroffen ist und mithin dort weiter körperschaftsteuerpflichtig bleibt, liegt bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften keine Trennung in Gesellschafter- und Gesellschaftsebene vor.
Durch Mitnahme einzelner Vermögenswerte ins Ausland oder Umzug des ganzen Unternehmens oder eigenständigen Unternehmensteilen können auch Einzelunternehmer bei Wegzug steuerpflichtig werden. Auch hier soll vermieden werden, dass Deutschland das Besteuerungsrecht an den in den Vermögenswerten liegenden stillen Reserven verliert.
Als stille Reserve wird der
Unterschiedsbetrag zwischen dem wirklichen Wert und dem Buchwert eines
Gegenstands im Unternehmen bezeichnet. So bspw. eine vor langen Jahren
erworbene Immobilie und deren Wertzuwachs. Die Aufdeckung dieser
versteckten oder verdeckten Werte wird als Entstrickung bezeichnet.
Stille
Reserven können materieller wie auch immaterieller Natur sein. So
können stille Reserven in Marken, Patenten, Domains, Kundenstamm u.a.
liegen.
Durch die Verlagerung des Vermögenswerts ins Ausland kommt
es zu einer Besteuerung zur Aufdeckung der stillen Reserven, welche wie
eine fiktive Veräußerung behandelt wird. Für Einzelunternehmen
und Personengesellschaften gilt gemäß § 4 (1) S. 3 EStG:
„Einer
Entnahme für betriebsfremde Zwecke steht der Ausschluss oder die
Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland
hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines
Wirtschaftsguts gleich.“
Ebenso wie es auf der persönlichen
Gesellschafterebene einer Kapitalgesellschaft zur Wegzugsbesteuerung
kommen kann, kann es sachlich zu einer Steuerentstrickung kommen, wenn
Betriebsvermögen aus Deutschland ins Ausland verlagert wird. In beiden
Fällen ist i. H. auf die stillen Reserven grds. eine Entstrickungssteuer
zu entrichten.
Während im Rahmen der Wegzugsteuer eine Stundung in
Frage kommt, kann bei der Verlagerung von betrieblichem Anlagevermögen
auf eine ausländische Betriebsstätte innerhalb der EU durch Schaffung
von Ausgleichsposten eine sofortige Steuerentstrickung vermieden werden.
Diese Ausgleichsposten sind in den 4 auf das Umzugsjahr folgenden
Geschäftsjahren aufzulösen.
Die Verlagerung eines Unternehmens ins Ausland beinhaltet immer eine Entstrickung. In Fällen, in denen ein ganzes Unternehmen verlagert wird, liegt gleichzeitig auch eine Funktionsverlagerung vor.
Die steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen wurde mit der Unternehmenssteuerreform 2008 gesetzlich eingeführt und mit der Reform des Außensteuergesetzes umgesetzt (§ 1 Abs. 3 S. 9 und 10 AStG). Der Gesetzgeber reagierte damit auf den Umstand, dass mit der internationalen Öffnung auch KMUs schon mit Direktinvestitionen in ausländische Tochtergesellschaften ins Ausland die Nutzung von Standortvorteilen aufgrund Rohstoffen oder günstigeren Arbeitskräften und Steuervorteilen oder –anreizen suchten und damit Betriebsmittel auf ausländische Tochterunternehmen übertragen wurden, womit Geschäfte aber auch stille Reserven ins Ausland gingen.
Eine
Funktionsverlagerung liegt nach § 1 Abs. 2 S. 1
Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlVo) vor, wenn ein Unternehmen
(verlagerndes Unternehmen) einem anderen, nahe stehenden Unternehmen
(übernehmendes Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie
die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung
überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben
kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist,
und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde
Unternehmen eingeschränkt wird.
Dabei kann schon die Verlagerung
einer eigenständigen Funktion ausreichen. Eine Funktion in diesem Sinne
ist eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger
betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder
Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden.
Eine
Funktionsverlagerung stellt somit die Verlagerung betrieblicher
Funktionen zu ausländischen Tochterunternehmen oder Betriebsstätten dar.
Verlagerte Funktionen im Sinne des Außensteuergesetzes sind einer
Gesamtbewertung zu unterziehen, so dass das ihnen innewohnende gesamte
Gewinnpotenzial in Deutschland besteuert werden kann.
Bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte lediglich eine Bewertung von übertragenen Wirtschaftsgütern. Nunmehr war es möglich das Gewinnpotenzial aus einer übertragenen Funktion, wie Einkauf oder Vertrieb zu bewerten.
Dabei erfolgte im Rahmen des Amthilfe-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes mittelbar eine Ausweitung des Anwendungsbereichs, indem die Regelung des § 1 AStG von "Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Kapitalgesellschaften" allgemein auf Personengesellschaften und Betriebsstätten ausgedehnt wurde.
Die Auffassung der Finanzverwaltung ergibt sich aus den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung (vgl. BMF, Schreiben v. 13.10.2010, IV B 5 – S-1341/08/10003, BStBl 2010 I S. 774).
Es soll insbesondere vermieden werden, dass stille Reserven in werthaltigen immateriellen Wirtschaftsgütern die mit hohem Kostenaufwand in Deutschland vom Unternehmen selbst erschaffen wurden und als solche oder durch nicht geschütztes Know-how nach § 5 Abs. 2 EStG nicht bilanziell ausgewiesen werden, bei Funktionsverlagerung der deutschen Besteuerung bei Verwertung im Ausland entzogen werden. Mit den neuen Regelungen der Funktionsverlagerung und daraus folgenden erheblichen Steuerbelastungen sollten ausländische Steuerstandorte unattraktiv gemacht und der Wegzug bzw. Verlagerung vermieden werden.
EuGH-Rechtsprechung zur Wegzugsbesteuerung
Das EuGH-Urteil „Hughes de Lasteyrie du Saillant“ zwingt die nationalen Gesetzgeber dazu, das System der Wegzugsteuer und der Sicherung der im Wegzugsland gebildeten stillen Reserven an das Europarecht anzupassen. Ansonsten bestünde das Risiko einer künftigen Kassation und die Verpflichtung zur Rückzahlung erhobener Wegzugsteuer.
Bei den Bestimmungen der §§ 11, 12 KStG, § 6 AStG oder § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG handelt es sich um sogenannte „Ersatzrealisationstatbestände“ die ausschließlich an den (Wohn-) Sitzwechsel des Steuersubjektes für die Steuerpflicht anknüpfen. Geregelt werden gerade keine steuerlichen Missbrauchstatbestände, woraus unmittelbar ebenso eine Europarechtswidrigkeit wegen Verstoß gegen die Grundfreiheiten gemäß Art. 43, 48 EGV folgt, wie für die Fiktion der Betriebsaufgabe bei Betriebsverlagerung ins (europäische) Ausland. Die Niederlassungsfreiheit garantiert eine steuerneutrale Sitzverlegung oder Verlegung des Verwaltungssitzes und Wegzugsbeschränkungen sind damit nicht zu vereinbaren.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine
Besteuerung von stillen Reserven in jedem Fall gegen EU-Recht verstoßen
würde. Denn die Nationalstaaten sind nicht daran gehindert, grds. stille
Reserven in ihrem Hoheitsgebiet zu besteuern. Dem EuGH-Urteil „Hughes
de Lasteyrie du Saillant“ ist nicht zu
entnehmen, dass die EU-Staaten
in jedem Falle daran gehindert seien, die auf ihrem Staatsgebiet
gebildeten stillen Reserven zu besteuern, solange und soweit sie dabei
den europarechtlichen Rahmen berücksichtigen.
Aufgrund dieser und anderer EuGH-Rechtsprechung hat die EU diese Rechtslage durch Änderung der steuerlichen Fusionsrichtlinie und der Verabschiedung der Sitzverlegungsrichtlinie zwztl. angepasst.
Am 01.01.2020 ist nun die Mobilitätsrichtlinie (RL (EU) 2019/2121 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (MobilitätsRL) in Kraft getreten. Sie ist Teil des sogenannten „Company Law Package“ aus 2018. Zuvor war in 2019 die Richtlinie (EU) 2019/1151 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (DigitalisierungsRL) in Kraft getreten.
Ihre Grundlage hatte die Richtlinie im Aktionsplan Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance aus dem Jahr 2012, mit dem die Europäische Kommission Initiativen zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung, eine Verbesserung des Mechanismus für grenzüberschreitende Verschmelzungen sowie die Genehmigung grenzüberschreitender Spaltungen anstrebte. Nach Vorlage des ersten Entwurfs in 2018 wurde schon im Folgejahr die finale Entwurfsfassung eines einheitlichen Rechtsrahmens für nahezu alle nationalen und grenzüberschreitenden Umwandlungsformen (Formwechsel, Spaltung und Verschmelzung) verabschiedet.
Im Jahr 2012 hatte der EuGH im
„VALE“- Urteil entschieden, dass die EU-Niederlassungsfreiheit (Art. 49
AEUV und 54 AEUV) der nationalen italienischen Regelung, die zwar für
inländische Gesellschaften die Möglichkeit einer Umwandlung gestattete,
aber die Umwandlung einer dem Recht eines anderen Mitgliedstaats
unterliegenden Gesellschaft in eine inländische Gesellschaft mittels
Gründung der letztgenannten Gesellschaft generell nicht zulässt (sog.
Herein-Formwechsel), entgegensteht.
5 Jahre danach, im Jahr 2017,
wurde dann im „Polbud“ –Urteil der umgekehrte Fall des
Heraus-Formwechsels entschieden. Danach verstößt auch eine nationale
Regelung, die einen grenzüberschreitenden Formwechsel durch Verlegung
des Satzungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat davon abhängig macht,
dass die Gesellschaft (im Herkunftsstaat) aufgelöst wird, gegen die
EU-Niederlassungsfreiheit.
Die MobilitätsRL regelt ebenso die grenzüberschreitende Spaltung (Art. 160a bis Art. 160u der GesellschaftsrechtsRL), wie auch grenzüberschreitende Verschmelzungen (Art. 118 bis Art. 134 der GesellschaftsrechtsRL). Dabei unterliegt die im Zuge der Umwandlung neu entstehende Gesellschaft (Spaltung) und die aus einer Umwandlung hervorgehende Gesellschaft (Formwechsel und Verschmelzung) dem Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats.
Umsetzung im Jahr 2023
Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet die MobilitätsRL (EU) 2019/2121 bis zum 31.01.2023 in nationales Recht umsetzen. Diese gilt allerdings nur für Kapitalgesellschaften, während für Personengesellschaften keine Regelungen getroffen werden und damit nach wie vor lediglich eine Berufung auf die Niederlassungsfreiheit möglich ist. Auch der Forderung, u.a. des Instituts für Wirtschaftsprüfer, zumindest Personenhandelsgesellschaften einzubeziehen, die weder unmittelbar noch mittelbar mindestens eine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter haben, wurde nicht nachgekommen.
Kapitalgesellschaften haben nun die Möglichkeit ihr Gesellschaftsvermögen mittels grenzüberschreitender Spaltung zur Neugründung vollständig oder teilweise auf eine neue Gesellschaft in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu übertragen. Nicht berücksichtigt wurde die Möglichkeit dieses auf einen im anderen EU-Mitgliedstaat schon bestehenden Rechtsträger zu übertragen.
Der grenzüberschreitende Formwechsel soll grundsätzlich steuerneutral erfolgen, soweit dabei keine nationalen Besteuerungsrechte ausgeschlossen oder beschränkt werden (Entstrickungsbesteuerung).
Fazit Wegzugsteuer
Insbesondere
großen Unternehmen und Konzernen wird die zum 1. Januar 2020 in Kraft
getretene Mobilitätsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/2121)
grenzüberschreitende Umwandlungspläne erleichtern.
Bedauerlicher
Weise hat der EU-Gesetzgeber bislang versäumt, den durch den EG-Vertrag
und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vorgegebenen
Möglichkeiten zur Niederlassungsfreiheit von Unternehmen auch für
Personengesellschaften Rechnung zu tragen.
Es bleibt abzuwarten, auf welche Weise die nationalen Regelungen Umsetzungen auch im steuerlichen Bereich bis zum 31.01.2023 vornehmen.
Für in Deutschland Steuerpflichtige gilt bis zum 31.12.2021, dass grds. ein latenter Gewinn zinslos zu stunden ist, allerdings ggf. nach § 6 Abs. 5 S. 4 AStG widerrufen werden kann, sofern
- Anteile veräußert oder verdeckt in eine Kapitalgesellschaft eingelegt,
- bzw. an einen nicht in der EU ansässigen, unbeschränkt Steuerpflichtigen übertragen werden,
- eine Entnahme oder ähnlicher Vorgang verwirklicht wird, der nach inländischem Recht zum Ansatz des Teilwerts oder gemeinen Werts führt
- wenn der Wohnsitz ins EU-Ausland (Drittland) verlegt wird.
Die fiktive Veräußerung hat bei Umzug in EU-Mitgliedsländer grds. keinen wirtschaftlichen Nachteile, solange kein Verkauf, Übertragung oder Wegzug in ein Drittland erfolgt.
Die neue Rechtslage durch das Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie ab dem 01.01.22 ändert dies erheblich. Auch bei einem Umzug innerhalb der EU wird nun die Wegzugsteuer grds. unmittelbar fällig und kann nur auf Antrag mit Ratenzahlung über 7 Jahre und Sicherheitsleistung abgezahlt werden. Nur eine Rückkehr nach Deutschland innerhalb von 7 Jahren kann unter bestimmten Voraussetzungen die Steuer mit Rückwirkung entfallen. Im Falle fortbestehender Rückkehrabsicht besteht die Möglichkeit zur Fristverlängerung mit Aussetzung der Ratenzahlung.
©2021 Verfasser Wegzugsteuer: Frank Müller, Rechtsanwalt, Abogado, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht