Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen in der EU – das Ende des Exequaturverfahrens
Grundsätzlich wirken Gerichtsentscheidungen zunächst nicht über die Grenzen des Urteilsstaates hinaus. Die Einklagbarkeit und Vollstreckbarkeit von Forderungen im Ausland aufgrund einer inländischen Entscheidung, kann sich also nur aus deren Anerkennung durch den anderen Staat ergeben. Aus diesem Grunde werden Anerkennungsübereinkommen zwischen den Staaten geschlossen, um gerichtliche Entscheidungen ohne aufwendige Anerkennungs- und Prüfungsverfahren vollstrecken zu können.
Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilrechtsurteile ist dabei von großer Bedeutung und bereits vor dem 2. Weltkrieg existierten bilaterale Verträge zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten der heutigen europäischen Union (so zum Beispiel das “deutsch-italienische Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen” vom 09.03.1936).
Die wichtigsten Schritte hin zur Entstehung der Europäischen Gerichtsstand- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO) waren das Brüsseler Übereinkommen (EuGVÜ), was zuletzt von folgenden Staaten unterzeichnet war: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und Spanien, das Luganer Übereinkommen und das Haager Übereinkommen .
Desweiteren existieren bilaterale Verträge über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zwischen Deutschland und den Mitgliedsstaaten der europäischen Union, die ihre Bedeutung weitgehend verloren haben und durch europäische Übereinkommen und Verordnungen ersetzt wurden (zum Beispiel der deutsch-spanische Vertrag vom 14. November 1983 über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie vollstreckbaren öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen), so dass diese nur noch eingeschränkt Anwendung finden
Im Artikel 61 lit. c EGV des Vertrages von Amsterdam wurde eine neue Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen geschaffen. Auf der Grundlage dieser Gemeinschaftskompetenz konnte der Text des EuGVÜ revidiert werden und als sekundäres Gemeinschaftsrecht in Form einer Verordnung erlassen werden. Das heißt, im Gegensatz zum EuGVÜ, welches als völkerrechtliches Übereinkommen abgeschlossen wurde, ist die EuGVVO unmittelbar anwendbar und verbindlich. Dies bedeutet desweiteren, dass langwierige Ratifikationsverfahren entfallen und stattdessen künftige Abänderungen ohne die Zustimmung sämtlicher EU-Mitgliedsstaaten erfolgen können und sich diese Verordnung automatisch auch auf neue Mitglieder der europäischen Union bezieht. Am 01.03.2002 ist die wichtige und weitreichende EG-Verordnung Nr. 44/2001 des Rates der Europäischen Union vom 22.12.2002 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) in Kraft getreten.
Anwendbar ist diese Verordnung auf die grenzüberschreitende Rechtsverfolgung innerhalb der EU in weiten Bereichen des Zivil- und Handelsrechtes, allerdings sind einige Untergebiete wie das Personenstandsrecht, das Insolvenzrecht, Teile des Familienrechtes sowie das Erbrecht ausgenommen (siehe Art. 1 Abs. 2 EuGVVO).
Nach der EuGVVO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in einem anderen EU-Land anerkannt, ohne dass es eines weiteren Verfahrens bedarf. Sie werden im anderen EU-Land auch vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag des Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden sind (Vollstreckbarerklärung). Das Verfahren der Zulassung ausländischer Vollstreckungstitel oder Schiedssprüche zur Zwangsvollstreckung im Inland wird als sog. Exequaturverfahren bezeichnet. Zu beachten ist aber, dass es sich dabei nicht etwa um das Zwangsvollstreckungsverfahren des ausländischen Titels handelt, sondern um ein der Vollstreckung vorgelagertes weiteres – und kostenpflichtiges – Verfahren, das in einem gegenständlich beschränkten Erkenntnisverfahren die Voraussetzungen der Anerkennung der Entscheidung und der Verleihung der Vollstreckbarkeit im Inland prüft und ggf. feststellt.
Mit der neuen EU-Verordnung Nr. 1215/2012 wird nunmehr künftig die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 neu gefasst und „eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in allen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf“.
Desweiteren wird ausgeführt, dass „die angestrebte Reduzierung des Zeit- und Kostenaufwands bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten die Abschaffung der Vollstreckbarerklärung, die der Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat bisher vorausgehen musste“ rechtfertige und „eine von den Gerichten eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung daher so behandelt werden sollte, als sei sie im ersuchten Mitgliedstaat ergangen.“
Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 findet in allen Mitgliedstaaten der EU Anwendungen und regelt darüber hinaus Rechtshängigkeitsfragen aufgrund von Gerichtstandsvereinbarungen.
Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 ist am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union (Nr. L 351 vom 20.12.2012) in Kraft getreten; sie gilt gemäß Art. 81 ab dem 10.1. 2015, mit Ausnahme der Artikel 75 und 76, die ab dem 10.1.2014 gelten.
©2013 Verfasser: Frank Müller, Rechtsanwalt, Abogado, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Link spanisches Prozessrecht
Zum Mahnbescheidsverfahren gegen ausländische Schuldner unter Anwendung des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes (AVAG) und der europäischen Gerichts- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO-Brüssel I)
II. Geschichtlicher Hintergrund
III. Das deutsche Mahnverfahren
IV. Wann ist das deutsche Mahnverfahren für grenzüberschreitende Forderungen zu empfehlen? Der Anwendungsbereich der EuGVVO:
V. Wann sollte man vom grenzüberschreitenden Mahnverfahren absehen?
VII.Entscheidung des Gerichtes im Vollstreckungsstaat – Exequatur
VIII.Ist der Staat, indem der Mahnbescheid zugestellt werden soll, für das Mahnverfahren geeignet?
IX. Wann muss man die Zustellung des Vollstreckungsbescheides beantragen?
X. Wer trägt die Kosten des Mahnverfahrens?
XI. Welche Unterlagen muss man im Ausland vor Gericht vorlegen?
16. Mai 2013 von Frank Dieter Müller
Kategorien: Berichte aus Spanien u. EU |
Schlagwörter: Abschaffung Exequatur, Abschaffung Vollstreckbarkeitserklärung, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile, deutsches Mahnverfahren und Ausland, EuGVVO und EugVü, grenzüberschreitende Forderungen, grenzüberschreitendes Mahnverfahren, Mahnbescheid in der EU |
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