Kanzlei Frank Dieter Müller & Asociados

Verwaltungsrechtsweg Spanien – EuGH

Verwaltungsrechtsweg Spanien

Der Europäische Gerichtshof hat zur Eigenschaft der spanischen „Tribunales Económicos-Administrativos“ als Gerichte im Verwaltungsrechtsweg Spanien Stellung genommen.

Mit Urteil C-274/14 hat die Groẞe Kammer des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) entschieden, dass ein vom spanischen „Tribunal Económico-Administrativo Central“ (TEAC) eingereichtes Vorabentscheidungsersuchen unzulässig ist, „da diese Einrichtung nicht als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) einzustufen ist.“

Das TEAC erfülle weder den das Auẞenverhältnis betreffenden Aspekt der Unabhängigkeit, nämlich „dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübt“, noch den das Innenverhältnis betreffenden Aspekt, der „mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang [steht] und (…) sich darauf [bezieht], dass den Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen am Streitgegenstand mit dem gleichen Abstand begegnet wird.“

Verwaltungsrechtsweg Spanien – TEAC

Beim spanischen TEAC handelt es sich um das Zentrale Wirtschaftsverwaltungsgericht mit Sitz in Madrid.
Die TEA sind u.a. zuständig, wenn ein Bürger die Aufhebung oder Abänderung eines Verwaltungsaktes der Steuerbehörden begehrt.
Neben Verwaltungsakten der Steuerverwaltung (actos de Gestión Tributaria), der Steuerprüfung (actos de inspección) und der Beitreibung (actos des recaudación), trifft das Allgemeine spanische Steuergesetz (Ley 58/2003, de 17 de diciembre, General Tributaria, auch Regelungen bzgl. Verwaltungsakten, die den Zoll und/oder besondere Steuerarten betreffen (actos de Aduanas e impuestos especiales), sowie die Erklärung der Verjährung des Rückerstattungsanspruches (declaración de prescripicón del derecho a la devolución).

Gegenstand des hier vom TEAC beim EuGH eingereichten Vorabentscheidungsersuchens war die Frage nach der Auslegung und Gültigkeit der spanischen Regelung für die steuerliche Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts bei Erwerb von Beteiligungen an ausländischen Unternehmen.

Begründung des EuGH zum Verwaltungsrechtsweg Spanien

Der EuGH begründet seine Entscheidung wie folgt:

„Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt dieser bei der Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der jeweils vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, auf eine Reihe von Merkmalen ab, wie z. B. die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihr ständiger Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, das streitige Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie ihre Unabhängigkeit (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. Juni 1966, Vaassen-Göbbels, 61/65, EU:C:1966:39, S. 602; vom 31. Mai 2005, Syfait u. a., C‑53/03, EU:C:2005:333, Rn. 29, sowie vom 16. Februar 2017, Margarit Panicello, C‑503/15, EU:C:2017:126, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Was das TEAC als vorlegende Einrichtung in der vorliegenden Rechtssache anbelangt, so lassen die Angaben in den dem Gerichtshof vorgelegten Akten keinen Zweifel daran, dass es die Kriterien zum Groẞteil erfüllt.

Verwaltungsrechtsweg Spanien – Unabhängigkeit der Organe

Nach dem EugH stellt sich allein die Frage, ob das TEAC dem Unabhängigkeitskriterium genügt.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs umfasst der Begriff der Unabhängigkeit zwei Aspekte. Der erste, das Außenverhältnis betreffende Aspekt erfordert, dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, so dass sie vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, welche die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten (Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zum das Außenverhältnis betreffenden Aspekt der Unabhängigkeit ist auch daran zu erinnern, dass die Nichtabsetzbarkeit der Mitglieder der betreffenden Einrichtung eine wesentliche Garantie für die richterliche Unabhängigkeit darstellt, da sie darauf abzielt, die mit der Aufgabe des Richtens Betrauten in ihrer Person zu schützen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. September 2006, Wilson, C‑506/04, EU:C:2006:587, Rn. 51, und vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 45).

Der Grundsatz der Unabsetzbarkeit, dessen entscheidende Bedeutung hervorzuheben ist, erfordert insbesondere, dass die Richter im Amt bleiben dürfen, bis sie das obligatorische Ruhestandsalter erreicht haben oder ihre Amtszeit, sofern diese befristet ist, abgelaufen ist. Dieser Grundsatz beansprucht zwar nicht völlig absolute Geltung, doch dürfen Ausnahmen von ihm nur unter der Voraussetzung gemacht werden, dass dies durch legitime und zwingende Gründe gerechtfertigt ist und dabei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet wird. So ist allgemein anerkannt, dass Richter abberufen werden können, wenn sie wegen Dienstunfähigkeit oder einer schweren Verfehlung nicht mehr zur Ausübung ihres Amtes geeignet sind, wobei angemessene Verfahren einzuhalten sind (Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 76).

So ist die Unabsetzbarkeit der Mitglieder eines Gerichts nur dann gewährleistet, wenn die Fälle, in denen die Mitglieder der Einrichtung abberufen werden können, in besonderen Regelungen durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen festgelegt sind, die Garantien bieten, die über das hinausgehen, was die allgemeinen Regeln des Verwaltungs- und des Arbeitsrechts im Falle einer missbräuchlichen Abberufung vorsehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C‑222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 32 und 35).

Verwaltungsrechtsweg Spanien – Unparteilichkeit

Der zweite, das Innenverhältnis betreffende Aspekt der Unabhängigkeit steht mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass den Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen am Streitgegenstand mit dem gleichen Abstand begegnet wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteil vom 16. Februar 2017, Margarit Panicello, C‑503/15, EU:C:2017:126, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

So bedeutet der Begriff der Unabhängigkeit, die dem Auftrag des Richters innewohnt, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs vor allem, dass die betreffende Stelle gegenüber der Behörde, die die mit einem Rechtsbehelf angefochtene Entscheidung erlassen hat, die Eigenschaft eines Dritten hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. März 1993, Corbiau, C‑24/92, EU:C:1993:118, Rn. 15, und vom 9. Oktober 2014, TDC, C‑222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der genannten Stelle für Einflussnahmen von außen und an ihrer Neutralität in Bezug auf die einander gegenüberstehenden Interessen auszuschließen (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C‑222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 32).

Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass nach den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften, insbesondere Art. 29 Abs. 2 des Königlichen Dekrets 520/2005, der Präsident und die Mitglieder des TEAC durch Königliche Verordnung des Ministerrats auf Vorschlag des Ministers für Wirtschaft und Finanzen auf unbestimmte Zeit ernannt werden. Nach dieser Bestimmung können sowohl der Präsident als auch die Mitglieder des TEAC nach demselben Verfahren, d. h. durch Königliche Verordnung des Ministerrats auf Vorschlag des Wirtschafts- und Finanzministers, abberufen werden.

Die Mitglieder der regionalen TEA werden gemäß Art. 30 Abs. 2 des Königlichen Dekrets 520/2005 vom Minister für Wirtschaft und Finanzen unter Beamten ausgewählt, die in einer Liste aufgeführt sind, und können auch von diesem Minister abberufen werden.

Die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften enthalten zwar Bestimmungen u. a. über die Enthaltung und die Ablehnung des Präsidenten sowie der übrigen Mitglieder des TEAC sowie Bestimmungen über Interessenkonflikte, Unvereinbarkeiten und Transparenzpflichten in Bezug auf den Präsidenten des TEAC, doch ist unstreitig, dass die Regeln für die Abberufung des Präsidenten und der anderen Mitglieder des TEAC nicht in besonderen Regelungen durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen festgelegt sind, wie sie für Angehörige der rechtsprechenden Gewalt gelten. In dieser Hinsicht unterliegen die Mitglieder des TEAC ausschließlich den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts und insbesondere dem Grundstatut der Bediensteten des öffentlichen Dienstes, wie die spanische Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof bestätigt hat. Die gleiche Feststellung gilt für die Mitglieder der regionalen und lokalen TEA.

Daher ist die Abberufung des Präsidenten und der übrigen Mitglieder des TEAC sowie der Mitglieder der anderen TEA nicht, wie es der Grundsatz der Unabsetzbarkeit verlangt, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und angemessener Verfahren auf bestimmte Ausnahmefälle beschränkt, in denen legitime und zwingende Gründe eine solche Maßnahme rechtfertigen

Zwar sind die Mitglieder der TEA nach dem Wortlaut von Art. 228 Abs. 1 LGT in Ausübung ihrer Befugnisse „funktional unabhängig“ und üben gemäß Art. 29 Abs. 9 und Art. 30 Abs. 12 des Königlichen Dekrets 520/2005 die ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben „in völliger Unabhängigkeit und in eigener Verantwortung“ aus; gegen ihre Abberufung oder den Widerruf ihrer Ernennung sind sie aber nicht durch besondere Garantien geschützt. Ein solches System ist nicht geeignet, ungebührlichen Druck der Exekutive gegenüber den Mitgliedern der TEA wirksam zu verhindern (vgl. entsprechend Urteil vom 31. Mai 2005, Syfait u. a., C‑53/03, EU:C:2005:333, Rn. 31).

Was zweitens den zweiten, das Innenverhältnis betreffenden Aspekt des Erfordernisses der Unabhängigkeit betrifft, ist festzustellen, dass zwar innerhalb des Wirtschafts- und Finanzministeriums eine funktionale Trennung besteht zwischen den mit der Verwaltung, der Erhebung und der Berechnung der Abgaben betrauten Stellen der Steuerverwaltung einerseits und den TEA andererseits, die über die Rechtsbehelfe entscheiden, die gegen die Entscheidungen dieser Stellen eingelegt werden.

Verwaltungsrechtsweg Spanien – Mangel an Objektivität

Nach dem EuGH tragen bestimmte Merkmale des Verfahrens des außerordentlichen Rechtsmittels vor der Sala Especial para la Unificación de Doctrina (Sonderkammer zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung, Spanien) nach Art. 243 LGT dazu bei, Zweifel daran zu begründen, dass das TEAC im Verhältnis zu den einander gegenüberstehenden Interessen „Dritter“ ist.

Es ist nämlich allein Sache des Generaldirektors für Steuern des Wirtschafts- und Finanzministeriums, ein solches außerordentliches Rechtsmittel gegen Beschlüsse des TEAC einzulegen, mit denen er nicht einverstanden ist. Dieser ist aber selbst von Amts wegen Teil des achtköpfigen Spruchkörpers, der über dieses Rechtsmittel zu befinden hat, ebenso wie der Generaldirektor oder Direktor der Stelle der staatlichen Steuerverwaltungsbehörde, zu der die Einrichtung gehört, die den Verwaltungsakt erlassen hat, auf den in der Entscheidung, die Gegenstand des Rechtsmittels ist, Bezug genommen wird. Somit sitzen sowohl der Generaldirektor für Steuern des Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen, der das außerordentliche Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des TEAC erhoben hat, als auch der Generaldirektor oder Direktor der Stelle der staatlichen Steuerverwaltungsbehörde, zu der die Einrichtung gehört, die den Verwaltungsakt erlassen hat, auf den in der Entscheidung, die Gegenstand des Rechtsmittels ist, Bezug genommen wird, in der Sonderkammer des TEAC, die über dieses Rechtsmittel entscheidet. Daraus folgt eine Vermischung der Stellung als Partei im Verfahren des außerordentlichen Rechtsmittels und derjenigen als Mitglied der Einrichtung, die über ein solches Rechtsmittel zu entscheiden hat.

Im Übrigen ist die Möglichkeit der Einlegung eines solchen außerordentlichen Rechtsmittels durch den Generaldirektor für Steuern des Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen gegen eine Entscheidung des TEAC geeignet, Druck auf dieses auszuüben, und begründet dadurch Zweifel an seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, auch wenn sich, wie die spanische Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof geltend gemacht hat, aus Art. 243 Abs. 4 LGT ergibt, dass dieses außerordentliche Rechtsmittel nur für die Zukunft wirkt und keine Auswirkungen auf bereits vom TEAC getroffene Entscheidungen hat, einschließlich derjenigen, die Gegenstand des Rechtsmittels ist.

Diese Merkmale des außerordentlichen Rechtsmittels zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung, das gegen die Entscheidungen des TEAC eingelegt werden kann, verdeutlichen die institutionellen und funktionalen Verbindungen zwischen dieser Einrichtung und dem Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, insbesondere in Gestalt des Generaldirektors für Steuern dieses Ministeriums sowie des Generaldirektors der Direktion, von der die vor ihm angefochtenen Entscheidungen stammen. Das Vorhandensein solcher Verbindungen schließt es aus, dem TEAC im Verhältnis zu dieser Behörde die Eigenschaft eines Dritten zuzuerkennen (vgl. entsprechend Urteil vom 30. Mai 2002, Schmid, C‑516/99, EU:C:2002:313, Rn. 38 bis 40).

Folglich genügt das TEAC nicht dem das Innenverhältnis betreffenden Aspekt des Erfordernisses der Unabhängigkeit, das für Gerichte kennzeichnend ist.

Nach alledem ist festzustellen, dass das vom TEAC eingereichte Vorabentscheidungsersuchen unzulässig ist, da diese Einrichtung nicht als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV einzustufen ist.“

©2022 Verwaltungsrechtsweg Spanien: Frank Müller, Rechtsanwalt und Abogado (Rechtsanwalt Spanien), Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

26. Dezember 2022 von Frank Dieter Müller
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