Coronakrise Spanien – Verlängerung Ausgangssperre
Der vorliegende Artikel Coronakrise Spanien – Verlängerung Ausgangssperre erläutert die Erweiterung der in den letzten Wochen durch die Regierung getroffenen Maßnahmen und stellt die verabschiedeten Maßnahmegesetze sowie die Position der EU-Kommission dar.
Spanien gehört zu den aktuell von der Covid-Krise am stärksten betroffenen Ländern.
Nachdem die spanische Regierung bislang mit Wirkung vom 14. März 2020 für die Dauer von 15 Kalendertagen den in Artikel 116 der Verfassung vorgesehenen nationalen Alarmzustand ausgerufen hatte, wurde die Maßnahme am Gründonnerstag nach elfstündiger Sitzung vom Kongress mit 270 Stimmen bei 54 Gegenstimmen und 25 Enthaltungen nun zunächst bis zum 26.04. 2020 verlängert. Der Regierungspräsident hat in diesem Zusammenhang bereits jetzt schon erklärt, dass er für den Zeitraum nach dem 26.04. eine weitere Verlängerung beantragen wird.
Das Gesetz „Ley Orgánica. 4/1981, de 1 de junio“ sieht als Krisenmaßnahmen diesen Alarmzustand (estado de alarma), den Ausnahmezustand (estado de excepción) und den Kriegszustand (estado de sitio) vor.
Während die Entscheidung über Ausnahme- und Kriegszustand unmittelbar vom Kongress abhängt, wird der Alarmzustand von der Regierung mittels Beschluss vom Ministerrat für einen Maximalzeitraum von 15 Tagen erklärt und dem Kongress mitgeteilt.
Unter diesen Umständen übernimmt die Regierung sämtliche insoweit in der Verfassung vorgesehenen Aufgaben und bestimmt die militärische Führung, die unter Regierungsleitung die entschiedenen Maßnahmen ausführt.
Entsprechend hat die spanische Regierung Eilmaßnahmen in verschiedenen Rechtsgebieten durch zunächst zwei königliche Dekrete (Real Decreto Ley 8/2020 und Real Decreto 463/2020) veranlasst.
Diese Eilmaßnahmen betreffen Teile des Verfahrensrechts, das Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, Steuerrecht, Gesellschaftsrecht und auch Insolvenzrecht.
Infolge dieser Maßnahmen ist es in Spanien u.a. zu einem Stillstand der Rechtspflege gekommen.
Für die Dauer des Alarmzustandes, der nun durch den Kongress verlängert worden ist, ruhen die Verfahren in sämtlichen Gerichtsbarkeiten; prozessuale Fristen gelten als unterbrochen. Entsprechendes gilt für Verwaltungsverfahren und teilweise in Steuerverfahren.
Während es den Anschein hat, dass die Ausgangssperre in der spanischen Bevölkerung aufgrund der dramatisch hohen Erkrankungszahlen und Todesziffern grundsätzlich breite Unterstützung findet und eine Einschränkung des durch Art. 19 der Verfassung garantierten Grundrechts hingenommen wird, so erfolgt doch zum einen Kritik an getroffenen Maßnahmegesetzen, wie der Sammlung und Auswertung von Daten, zum anderen an der nach Ansicht vieler Bürger eingeschränkten Pressefreiheit.
Maßnahmegesetze sind im Einzelfall nun zwar weder unzulässig noch unterliegen sie einer strengeren verfassungsgerichtliche Kontrolle als andere Gesetze, es regen sich aber Zweifel an der Verhältnismäßigkeit, der Dauer und der Transparenz der Maßnahmen.
So wurde am 28.03. im Staatsanzeiger die Verordnung SND/297/2020 veröffentlicht, mit der das “Ministeriums für Wirtschaft und digitale Transformation” das neu geschaffene “Staatssekretariat für Digitalisierung und künstliche Intelligenz” mit der „Entwicklung diverser Aktivitäten zur Handhabe der durch COVID-19 verursachten sanitären Krise“ betraut. Dabei soll ein durch das nationale statistische Institut entwickeltes Modell zum Studium der Mobilität der Bürger aufgrund des Abgleichs von Handydaten auf aggregierte und anonymisierte Weise, der Analyse der Personenbewegungen an den Tagen vor und während der Ausgangssperre dienen.
Es besteht die Befürchtung in der spanischen Bevölkerung, dass hiermit Strukturen zur Auswertung von Standortdaten implantiert werden, die nach der Krise nicht mehr zurückgebaut und für andere vergleichbare Situationen vorgehalten werden. Mit der Mobilfunküberwachung stünden damit für die Zukunft nicht nur die Standort- sondern ggf. auch die Gesundheitsdaten zur Verfügung. Mit dem Vorhalten dieser Technik und der Datenbanken würde der Sicherheit als oberstes Prinzip der Vorrang vor den verfassungsrechtlichen Freiheitsrechten eingeräumt, die Gesundheit der Freiheit mithin übergeordnet und die Entscheidung der Abwägung der Regierung, mithin der Verwaltung in die Hände gegeben.
Allerdings regt sich nicht nur Kritik insoweit, sondern auch bezüglich der Transparenz in der Entscheidungsfindung der Regierung, wie auch hinsichtlich der Kommunikation und dem Umgang mit der „vierten Gewalt“, mithin der Presse. Denn vielen Bürgern scheint es offensichtlich, dass in Pressekonferenzen der Regierung kaum kritische Fragen gestellt werden und demgemäß ein Zulassen nur bestimmter Medien mit gefilterten Fragenkatalogen vermutet wird.
Diese demokratiekritische Entwicklung in Spanien, wie auch in anderen europäischen Mitgliedstaaten wie bspw. Italien oder Ungarn oder auch Dänemark, wo Zwangstests, Zwangsimpfungen sowie Zwangsbehandlungen angeordnet und für die Durchsetzung der Regierungsanordnungen neben der Polizei auch Militär und sogar private Wachdienste eingesetzt werden können, sieht die EU-Kommission äußerst kritisch.
Angesichts immer zahlreicherer Notstandsgesetze in der EU, die sich auf Art. 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) berufen, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nunmehr ein den EUGH nicht bindendes Factsheet zu den Voraussetzungen des Artikels 15 EMRK veröffentlicht.
Darüber hinaus hat die EU -Präsidentin von der Leyen zu Notmaßnahmen in den Mitgliedstaaten folgende mahnende Erklärung abgegeben:
„Die Europäische Union gründet sich auf Werte wie Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte. Diese Werte einen uns. Wir müssen sie hochhalten und verteidigen, auch in diesen herausfordernden Zeiten.
In den letzten Wochen haben mehrere Regierungen in der EU Notmaßnahmen ergriffen, um die durch den Ausbruch des Coronavirus verursachte Gesundheitskrise anzugehen. Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten, und grundsätzlich brauchen Regierungen die nötige Handhabe, um rasch und wirksam handeln und so die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger schützen zu können.
Es ist von allergrößter Bedeutung, dass Notmaßnahmen nicht auf Kosten unserer Grundprinzipien und Werte gehen, die in den Verträgen festgeschrieben sind. Demokratie kann nicht ohne freie und unabhängige Medien funktionieren. Meinungsfreiheit und Rechtssicherheit sind in diesen ungewissen Zeiten von essenzieller Bedeutung. Nie war es wichtiger als jetzt, dass Journalistinnen und Journalisten ungehindert und präzise arbeiten können, um gegen Desinformation anzugehen und sicherzustellen, dass unsere Bürgerinnen und Bürger Zugang zu wesentlichen Informationen erhalten.
Alle Notmaßnahmen müssen auf das Notwendige beschränkt und unbedingt verhältnismäßig sein. Sie dürfen nicht unbegrenzt andauern. Außerdem müssen die Regierungen sicherstellen, dass solche Maßnahmen regelmäßig überprüft werden.
Die Europäische Kommission wird die Anwendung von Notmaßnahmen in allen Mitgliedstaaten in einem Geiste der Zusammenarbeit aufmerksam verfolgen. Wir alle müssen zusammenarbeiten, um diese Krise zu meistern. Dabei werden wir unsere europäischen Werte und die Menschenrechte wahren. Das macht uns aus und dafür stehen wir.“
Die europäischen Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, folgende Erklärung zur Rechtsstaatlichkeit in Zeiten von Covid-19 zu unterzeichnen:
„In dieser beispiellosen Situation ist es legitim, dass die Mitgliedstaaten außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen, um ihre Bürger zu schützen und die Krise zu überwinden. Wir sind jedoch tief besorgt angesichts der Gefahr, dass die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte durch das Ergreifen gewisser Notfallmaßnahmen verletzt werden. Notfallmaßnahmen sollten sich auf das Allernötigste beschränken, angemessen und befristet sein, regelmäßig geprüft werden und die oben genannten Prinzipien und völkerrechtlichen Verpflichtungen wahren. Sie sollten nicht die freie Meinungsäußerung oder die Pressefreiheit einschränken. Wir müssen diese Krise gemeinsam überwinden und unsere europäischen Grundsätze und Werte auf diesem Weg gemeinsam aufrechterhalten. Wir unterstützen daher die Initiative der Europäischen Kommission, die Notfallmaßnahmen und ihre Anwendung zu überwachen, um sicherzustellen, dass die Grundwerte der Europäischen Union gewahrt werden, und fordern den Rat für Allgemeine Angelegenheiten auf, sich gegebenenfalls mit der Angelegenheit zu befassen.“
Coronakrise Spanien – Verlängerung Ausgangssperre bis 26.04.
Nach der von der spanischen Regierung zum 30.03. in Kraft getreten Maßnahmen zu einer totalen Ausgangssperre gilt nun ab dem 13.04. aufgrund der durch den Kongress verlängerten Maßnahme, weiter eine grds. Ausgangssperre, mit folgender Wirkung im Arbeitsrecht:
Arbeitnehmer welche Tätigkeiten nicht essenzieller Art erbringen, nehmen diese ab dem 13.04. respektive in einigen Gebietsautonomen, in denen der Ostermontag Feiertag ist, ab dem 14.04. wieder auf, sofern diese Arbeit nicht vom home-office erledigt werden kann.
Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft und in der Industrie sowie andere Tätigkeiten, bei denen eine Fernarbeit nicht möglich ist, wie bspw. die der Hausangestellten. Insoweit gelten die bereits veröffentlichten Maßnahmen zur Sicherheit und Hygiene. Ausnahmen gelten bspw. für Notreparaturen und notwendige Informatikerarbeiten.
Die Justiz bleibt nach wie vor bis auf essenzielle Angelegenheiten geschlossen. Wenn auch ab dem 15.04. wieder online Schriftsätze eingereicht werden können, so bleibt dies infolge der Fristaussetzung ohne Folgen. Die Arbeitsbedingungen der essenziellen Angelegenheiten wurden per Dekret der Justizverwaltung bestimmt.
Desweiteren bleiben Freizeit- und Restaurationsbetriebe sowie Hotels, Kindergärten, Schulen, etc. geschlossen. Dies betrifft ebenso den Großteil des Einzelhandels mit Ausnahme der Lebensmittel- und Getränkebetriebe.
Fazit Artikel Coronakrise Spanien – Verlängerung Ausgangssperre
Das unmittelbare Krisenmanagement durch den von der Regierung so bezeichneten „Winterschlaf der Wirtschaft“ wird derzeit von der Bevölkerung im Wesentlichen akzeptiert.
Allerdings werden Grundrechtsbeeinträchtigungen reklamiert und von der EU-Kommision angemahnt.
Eine laufende parlamentarische Kontrolle der Regierung in der in den Art. 109 ff der spanischen Verfassung vorgesehenen Weise findet derzeit faktisch nicht statt, nachdem die Parlamentspräsidentin telematische Sitzungen als unzulässig abgelehnt hatte und in über einem Monat nur 2 Mal ein Plenum zur Verabschiedung der Regierungsmaßnahmen einberufen wurde.
Es werden fehlende Transparenz sowie freie Presse reklamiert und die Tätigkeit der Justiz bleibt von der spanischen Regierung nach wie vor auf den essenziellen Umfang beschränkt.
Gewaltenteilung und -kontrolle als tragende Prinzipien der Verfassung eines Rechtsstaats dienen dem Zweck der Machtbegrenzung und der Sicherung von Freiheit und Gleichheit als Basis der Rechtsstaatlichkeit.
Es stellt sich die Frage, wie gefestigt einzelne Demokratien in Europa sind und welches Vertrauen deren Bürger im Rahmen der Krisenbewältigung in diese setzen können, wenn die Europäische Kommission oder auch der Europäische Gerichtshof Bedenken und sogar tiefe Besorgnis der Gefahr äußern, dass durch das Ergreifen bestimmter Notfallmaßnahmen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte verletzt werden.
©2020 Verfasser Coronakrise Spanien – Verlängerung Ausgangssperre: Frank Müller, Rechtsanwalt und Abogado (Rechtsanwalt Spanien), Fachanwalt für Handels- u. Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Steuerrecht