Kanzlei Frank Dieter Müller & Asociados

Coronavirus Spanien – Vertrag und Haftung

Coronavirus Spanien – Vertrag und Haftung

Spanien gehört zu den von der Covid-Krise am stärksten betroffenen Ländern. Nachdem die spanische Regierung den in Artikel 116 der Verfassung vorgesehenen nationalen Alarmzustand ausgerufen hatte, wurde die Maßnahme zwischenzeitlich vom Kongress verlängert. Der vorliegende Artikel Coronavirus Spanien – Vertrag und Haftung erläutert deren Folgen im Hinblick auf von Privatpersonen und Unternehmen geschlossenen Verträge.

Die Regierung hat in verschiedenen Rechtsgebieten Eilmaßnahmen durch königliche Dekrete veranlasst.
Diese Eilmaßnahmen betreffen Teile des Verfahrensrechts, das Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, Steuerrecht, Gesellschaftsrecht und auch Insolvenzrecht.
Insbesondere wurden Geschäftsschließungen und Ausgangssperre angeordnet. Am gestrigen Tage kommunizierte die Regierung nun einen „Plan zum Übergang in eine neue Normalität“. Dieser erläutert u.a. einen schrittweisen, abgestuften Abbau der in den letzten Wochen getroffenen Maßnahmen und die künftigen Beschränkungen.

Infolge der bereits bestehenden wie auch der weiteren Beschränkungen kann die Erfüllung von Verträgen, seien dies nun Liefer- oder Dienstleistungsverpflichtungen aufgrund Lieferengpässen, Kurzarbeit und Betriebsschließungen unmöglich werden. Die absoluten Ausmaße sowie ein Enddatum lassen sich noch nicht abschätzen.
Derzeit ruhen für die Dauer des Alarmzustandes die Verfahren in sämtlichen Gerichtsbarkeiten; prozessuale Fristen gelten als unterbrochen. Entsprechendes gilt für Verwaltungsverfahren und teilweise in Steuerverfahren.
Dies hat aber nicht zur Folge, dass in gleicher Weise Verpflichtungen aus zivilrechtlichen Verträgen durch Unternehmen oder Private nicht zu erfüllen oder diese ebenso zeitlich ausgesetzt wären.
Andererseits haben die getroffenen Maßnahmen wie Ausgangssperre und Schließungen zur Folge, dass eine Vielzahl von Verträgen nicht erfüllt werden können oder aber zumindest schwer zu erfüllen sind. Die Bearbeitung Coronavirus Spanien – Vertrag und Haftung soll mögliche Lösungen aber auch Pflichten insoweit aufzeigen.

Die zentrale Rechtsnorm des spanischen Zivilgesetzbuches (Código Civil, abgek. CC) zur Frage der Haftung ist Art. 1089 CC, wonach Verbindlichkeiten durch Gesetz, durch Verträge und vertragsähnliche Verhältnisse etc. entstehen. Art. 1089 CC bestimmt, ob der einer Partei entstandene Schaden bei dieser Partei verbleibt oder abgewälzt werden kann. Damit gilt der Grundsatz, dass der Geschädigte jedenfalls dann den erlittenen Schaden zu tragen hat, wenn dieser zufällig oder durch eigenes Verschulden entstanden ist. Nur wenn der Schaden auf einen anderen Grund zurückzuführen ist, kommt die Schadensersatzpflicht eines anderen in Betracht.

Spanien – Vertrag und Haftung: höhere Gewalt

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die derzeitige Situation eine höhere Gewalt, mithin ein unvorhergesehenes und unvermeidbares Schadensereignis darstellt und welche Folgen die Unmöglichkeit der Erfüllung mit sich bringt. Häufig sehen vertragliche Klauseln bereits vor, dass Epidemien, Seuchen u. ä. Anordnungen als höhere Gewalt einzustufen sind. Mit der Einstufung durch die Weltgesundheitsorganisation als Pandemie kommt mithin ein Fall höherer Gewalt im Sinne dieser Klauseln in Betracht.
Ausgehend davon, dass also im jeweils zu berücksichtigenden Einzelfall diese Situation durchaus als höhere Gewalt eingestuft werden kann, sind dementsprechend zunächst die diesbezüglichen vertraglichen Bestimmungen zu Hilfe zu ziehen. Insbesondere Verträge im Handelsrecht, aber ebenso auch in anderen Bereichen, enthalten im spanischen Vertragsrecht häufig derartige Klauseln. Diese Klauseln bestimmen regelmäßig, dass teilweise oder umfassende Nichterfüllung eines Vertrages aufgrund höherer Gewalt keine Haftung für daraus folgende Schäden und Nachteile gegenüber dem Vertragspartner impliziert.

Vertragsklauseln zu höherer Gewalt erlauben es regelmäßig hingegen nicht, dass die Vertragsbeziehung als solche aus diesem Grunde aufgehoben werden kann. Üblicher Weise sehen diese Klauseln vor, dass die Parteien verpflichtet werden, die Vertragsbedingungen neu zu verhandeln, sofern der Zustand der höheren Gewalt eine bestimmte Dauer überschreitet.

In Fällen hingegen, in denen im Vertragswerk keine diesbezüglichen Bestimmungen getroffen werden, gelten die Bestimmungen des spanischen Zivilgesetzbuchs. Dort heißt es in Art. 1.105 CC:
„Mit Ausnahme der ausdrücklich im Gesetz erwähnten Fälle, sowie derer bei denen die Verbindlichkeit dies so bestimmt, haftet niemand für solche Ereignisse, die nicht voraussehbar waren, oder die zwar vorausgesehen wurden, jedoch unvermeidbar waren“.
Art. 1.184 CC bestimmt:  “der Schuldner bleibt von den Verpflichtungen befreit, welche zu erbringen rechtlich oder physisch unmöglich ist.“

Das bedeutet, dass sofern nicht der Vertrag im Einzelfall oder das Gesetz andere Bestimmungen treffen, keine Haftung für nichterfüllbare Verpflichtungen infolge von nicht vorhersehbaren oder unvermeidbaren Ereignissen die auch bei Anwendung aller möglichen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können in Betracht kommt. Ein Ereignis darf nicht durch eine schuldhafte Handlung der Partei die sich hierauf beruft eingetreten sein, d.h., es muss seinen Ursprung außerhalb des Wirkungskreises der verpflichteten Partei haben. Daraus folgt:

  • Eine Vertragspartei kann von jedweder Haftung aus der Nichterfüllung des Vertrages befreit werden
  • Sie kann von der Verpflichtung zur Erfüllung des Vertrages befreit werden (Artikel 1182, 1184 CC)
  • Die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen kann zeitweise ausgesetzt werden, sofern die Auswirkungen lediglich vorübergehender Natur sind.

Ob also die derzeitige Krisensituation als höhere Gewalt einzustufen ist, ist einerseits vom konkreten Vertragsverhältnis und andererseits davon abhängig, ob Unvorhersehbarkeit und Unvermeidbarkeit vorliegen.

Ausnahmen von der Anwendbarkeit des Prinzips der höheren Gewalt können gemäß dem obersten spanischen Gerichtshof (Tribunal Supremo) dann bestehen, wenn es sich bei der Nichterfüllung um eine reine Geldzahlungspflicht handelt. Da die Zahlung von Geld eine generische Verpflichtung darstellt, welche infolge des generellen Vorhandenseins von Geld unabhängig von einer Lage höherer Gewalt erfüllt werden kann, kommt eine Unmöglichkeit somit nicht in Betracht, wenn die Verpflichtung ausschließlich eine Zahlungsverpflichtung beinhaltet.

Spanien – Vertrag und Haftung: Rebus sic stantibus 

In Fällen, in denen infolge der Coronakrise und der ergriffenen staatlichen Maßnahmen ein Ungleichgewicht der vertraglichen Leistungen entsteht oder aber eine Partei extrem begünstigt wird, kommt die Anwendung der Doktrin „rebus sic stantibus“ in Betracht, welche entweder zur Vertragsaufhebung oder zur Anpassung von Vertragsbedingungen führen kann.
Dieses Instrument hat anders als im deutschen BGB keine Grundlage im Gesetz, sondern wurde von der Rechtsprechung entworfen und wird von dieser auch nur ganz restriktiv angewandt. Auch in Deutschland war die Regelung des § 313 BGB zur Störung der Geschäftsgrundlage bis zum Jahre 2002 nur als Rechtsprechung anerkannt und regelt nicht nur den vollständigen Wegfall der Geschäftsgrundlage, sondern auch andere vertragswesentliche Störungen. Geschäftsgrundlage sind demgemäß Umstände, die zur Grundlage eines Vertrags geworden und so selbstverständlich sind, dass sie nicht ausdrücklich zum Vertragsgegenstand erhoben wurden

Anders als in Fällen höherer Gewalt ist zur Anwendung nicht eine Unmöglichkeit der Vertragserfüllung Voraussetzung, sondern eine Störung der Vertragsgrundlage. Die Klausel rebus sic stantibus erlaubt es Verträge anzupassen, wenn sich die entscheidenden Umstände ändern, welche die Geschäftsgrundlage des jeweiligen Vertragsverhältnisses bilden. Geschäftsgrundlage sind die bei Vertragsabschluss zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen der Vertragsparteien sowie die erkennbaren und von nicht beanstandeten Vorstellungen vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien hierauf aufbaut.

Dies steht zwar im Widerspruch zum allgemeinen Rechtssatz des „pacta sunt servanda“, wonach Verträge grundsätzlich zu erfüllen sind,  wird aber dann zugelassen, wenn es angesichts der Gesamtumstände gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstieße, denjenigen Vertragspartner, für den die Geschäftsgrundlage weggefallen ist, weiterhin auf den Vertrag zu binden.

Eine solche Störung der Geschäftsgrundlage kommt bei Eintreten einer außerordentlichen, unvorhersehbaren und nicht zurechenbaren Änderung der Umstände zwischen Vertragsschluss und dem Zeitpunkt der Vertragserfüllung und einem außerordentlichen Missverhältnis zwischen den von den Parteien zu erfüllenden Verpflichtungen in Ermangelung anderer möglicher vertraglicher Abhilfemaßnahmen der Schadensbegrenzung oder Schadensverhinderung in Betracht.

In solchen Fällen besteht somit ggf. ganz ausnahmsweise und subsidiär ein Recht auf Vertragsanpassung oder auch auf Vertragsanfechtung, im Falle dass einem Vertragspartner ein Festhalten am Vertrag nicht weiter zugemutet werden kann.
Voraussetzung ist immer, dass die nach Vertragsunterzeichnung eintretenden Umstände für die Parteien nicht vorhersehbar waren, keiner der Parteien zurechenbar sind und im Vertrag auch keine Verpflichtung zur Tragung eines entsprechenden Risikos vorgesehen ist.

Fazit Coronavirus Spanien – Vertrag und Haftung

Grundsätzlich unterliegen nach spanischem Vertragsrecht geschlossene Verträge der Vertragsfreiheit, sind rechtlich verbindlich und verpflichten die Vertragsparteien zur Erfüllung (Artikel 1258 CC). Vertragliche Vereinbarungen haben grundsätzlich Vorrang vor gesetzlichen Bestimmungen. Dies gilt im Grundsatz auch im Falle einer Krisensituation. Vertragliche Regelungen wie Klauseln zu höherer Gewalt und deren Voraussetzungen gehen damit gesetzlichen Bestimmungen vor.

Die Coronakrise entfaltet erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft, sodass häufig von einer unvorhersehbaren Störung ausgegangen werden kann. Es muss jedoch in Fällen, in denen durch den angeordneten Alarmzustand die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen erschwert oder unmöglich gemacht wird, unter konkreter Betrachtung des Einzelfalles und des Vertrages geprüft werden, ob die durch das Coronavirus verursachte Krisensituation ein solches Ereignis höherer Gewalt darstellen oder ggf. ausnahmsweise die Doktrin der Störung der Geschäftsgrundlage greifen kann, ob und mit welchem Ausmaß Äquivalenzinteressen der Vertragspartner betroffen sind, um auf diesem Wege bspw. eine für den Zeitraum der Krise dauernde Vertragsunterbrechung oder Änderungen der vertraglichen Bedingungen verhandeln zu können.

Zur Vermeidung von Schadensersatzpflichten sind die Verpflichtungen zu gegenseitiger Rücksichtnahme und Information zu beachten, mithin den Vertragspartner über die eigene Situation in erforderlichem Maße zu informieren. Kommt ein Vertragspartner dem nicht rechtzeitig nach, verletzt er seine Schadensminderungspflicht und ist ggf. dem anderen für Folgeschäden haftbar.

©2020 Verfasser Coronavirus Spanien – Vertrag und Haftung: Frank Müller, Rechtsanwalt und Abogado (Rechtsanwalt Spanien), Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

29. April 2020 von Frank Dieter Müller
Kategorien: Berichte aus Spanien u. EU | Schlagwörter: | Kommentare deaktiviert für Coronavirus Spanien – Vertrag und Haftung