Coronavirus Spanien – Justiz
Der vorliegende Artikel Coronavirus Spanien – Justiz erläutert die Auswirkungen der in den letzten Wochen durch die Regierung im Bereich der Rechtspflege getroffenen Maßnahmen.
Die spanische Regierung hatte zunächst mit Wirkung vom 14. März 2020 für die Dauer von 15 Kalendertagen den in Artikel 116 der Verfassung vorgesehenen nationalen Alarmzustand ausgerufen und Eilmaßnahmen in verschiedenen Rechtsgebieten durch zwei königliche Dekrete (Real Decreto Ley 8/2020 und Real Decreto 463/2020) veranlasst.
Diese Eilmaßnahmen betreffen Teile des Verfahrensrechts, das Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, Steuerrecht, Gesellschaftsrecht und auch Insolvenzrecht.
Infolge dieser Maßnahmen war es in Spanien u.a. zu einem Stillstand der Rechtspflege gekommen.
Für die Dauer des Alarmzustandes ruhten die Verfahren in sämtlichen Gerichtsbarkeiten; prozessuale Fristen galten als unterbrochen. Entsprechendes galt für Verwaltungsverfahren und teilweise in Steuerverfahren. Dies hatte die Aussetzung sämtlicher laufender Verfahren, sowie gerichtlicher oder behördlicher Akte zur Folge. Nur eilige und unaufschiebbare Angelegenheiten sollten zur Vermeidung irreparabler Schäden betrieben werden. Verjährungsfristen zur Geltendmachung von Ansprüchen und Rechten waren für die Dauer des Alarmzustandes nicht von Verlust oder Ablauf betroffen.
Am 31. März war dann ein weiteres Gesetzesdekret erlassen worden, das in einer 19. Zusatzbestimmung aufgrund der nicht absehbaren Dauer des Alarmzustandes bestimmt, dass die Regierung binnen maximal 15 Tagen auf Vorschlag des Justizministeriums einen Aktionsplan zur Beschleunigung der insbesondere betroffenen Arbeits-, Verwaltungs- und Handelsgerichtsverfahren erlassen sollte.
Wie diese Absicht in diesen ohnehin überlasteten Gerichtsbarkeiten mit den neuen, unzähligen Kurzarbeits- und Insolvenzverfahren umgesetzt werden sollte, blieb dabei offen.
Mittels Königlichem Dekret 487/2020 vom 10. April wurde der Alarmzustand zunächst bis zum 26.4. 2020 um weitere 15 Tage verlängert und die damit verbundene Ausgangssperre hinsichtlich nicht essenzieller Wirtschaftsbereiche teilweise gelockert.
Am 14.4. verfügte das spanische Justizministerium mittels Ministerialerlass die Öffnung des elektronischen Gerichtsfachs (Lexnet), sodass mit Wirkung zum 15. April 2020 grds. wieder Klagen, Berufungen, Revisionen und jede Art von Schriftsätzen wieder auf elektronischem Wege bei Gericht eingereicht werden können. Mit dieser Maßnahme soll einem Kollaps der Gerichte nach Beendigung des Alarmzustands vorgebeugt werden. Das Justizministerium rief dabei zu einem gemäßigten Umgang mit dieser Maßnahme auf, um die vorhandenen Mittel nicht zu überlasten.
Diese eingeschränkte Wiederaufnahme des Gerichtsbetriebs schließt nicht nur Zivilverfahren sondern auch die Tätigkeit des Zivilstandsregisters, insbesondere im Hinblick auf die Eintragung der erheblichen Todesfälle aufgrund des Coronavirus in Spaien ein. Die prozessualen Fristen bleiben allerdings weiterhin unterbrochen.
In einem Notfallmodus, der die Verwendung von Schutzhandschuhen und -masken sowie Desinfektionsmitteln und Einhaltung des Sicherheitsabstands vorsieht, soll dadurch der Gerichtsbetrieb in eingeschränkter Weise wieder aufgenommen werden können, Gerichtsbeamte demgemäß nicht nur im home-office sondern auch präsenziell im Turnus-Betrieb arbeiten.
Die Besetzung der Gerichte in Zivil- und Handelssachen in erster Instanz (Juzgados de Primera Instancia) und der Handelsgerichte (Juzgados de lo Mercantil) wurde wie folgt festgelegt:
-1 Urkundsbeamter (Letrado de la Administración de Justicia) je 10 Gerichtsabteilungen
-10% des übrigen Justizpersonals und 1 Verwaltungsbeamter pro Gerichtsabteilung
-1 Hilfsbeamter je 4 Gerichtsabteilungen
Die Berufungs- (Audiencia Provincial) und Revisionsgerichte (Tribunal Superior de Justicia und Tribunal Supremo) werden wie folgt besetzt
-10% der Urkundsbeamten
-1 Verwaltungsbeamter und 1 Hilfsbeamter je Kammer oder Senat
-weitere nach Ermessen des Urkundsbeamten erforderliche Beamte zur Registrierung und Verteilung der eingehenden Schriftsätze.
Coronavirus Spanien – Justiz und Normalzustand
Mit Datum vom 28. April erging auf Betreiben der Regierung, wiederum mit Kritik der Opposition und ohne entsprechende Beteiligung des Parlaments, ein neuerliches Königliches Dekret (Real Decreto 16/2020, 28 de abril), zur schnellstmöglichen Rückführung des weitgehend stillgelegten Justizbetriebs in den Normalzustand.
Die Eilbedürftigkeit der Regelung diene der Gewährleistung des in Artikel 24.2 der spanischen Verfassung vorgesehenen Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz.
Dies betrifft insbesondere die neuen, unzähligen Kurzarbeits- und Insolvenzverfahren bei Arbeitsgerichten und Handelsgerichte, ebenso aber auch Rechtsmittelverfahren gegen Urteile, die im Alarmzustand im Rahmen der o. Einschränkungen noch ergehen.
Desweiteren werden Maßnahmen zur Arbeitssicherheit im Umgang mit dem Coronavirus festgelegt.
Coronavirus Spanien – Justiz, die Maßnahmen im Einzelnen
1. Arbeitssicherheit zum Schutz des Justizpersonals für die Dauer des Alarmzustandes und die 3 darauf folgenden Monate
•
zur Verteilung des Justizpersonals und Vermeidung von
Personenansammlungen Aufteilung in Vormittags- und Nachmittagsschicht.
• Publikumsverkehr nur in Ausnahmefällen persönlich auf
Termin, ansonsten telefonisch oder per e-mail.
• Gerichtstermine grds. elektronisch abgehalten, außer in
Strafsachen bei Schwerstkriminalität.
• Publikum bei öffentlichen Sitzungen nur eingeschränkt und abhängig
von den räumlichen Gegebenheiten des Sitzungssaals.
• Befreiung von der Robenpflicht für Anwälte.
2. Förderung der Wiederaufnahme eines geregelten Justizbetriebs
• Einrichtung von Sondereinheiten zur Bearbeitung von Covid-19 Rechtssachen.
• Aufhebung der Gerichtsferien im August für das laufende Jahr 2020.
• Einsatz von Richtern ohne festen Gerichtsbezirk für Covid-19-fälle.
• Heranziehung von Justizbeamten in Ausbildung, aber schon bestandener Prüfung
• Einsatz von Justizbeamten an verschiedenen Gerichten im gleichen Bezirks und Gerichtsbarkeit.
3. Regelungen zur digitalen Transformation.
•
Zulassung und Verbesserung der Nutzung der elektronischen Identifikation.
• Verpflichtung der staatlichen und gebietsautonomen
Justizverwaltung Zugang zu den Akten aus dem home-office zu gewährleisten.
4. Regelungen zur Fristenberechnung nach Beendigung des Alarmzustandes und der Bearbeitung der erhöhten Fallzahlen.
• Beginn des unterbrochenen Fristenlaufs nach Beendigung des Alarmzustands.
• Verfahren zur Regelung des durch Covid-19 beeinträchtigten Besuchsrechts in Familiensachen und der von Covid-19 betroffenen Elternteile, die ihren Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen können.
• Einführung eines neuen Verfahrens für Kurzarbeit in Arbeitssachen von kleinen Unternehmen.
• Vorrangige Bearbeitung von folgenden Verfahren:
a) Verfahren zum Schutz von Minderjährigen.
b) Verfahren, in Hypothekensachen bei Versagung der zeitweisen Aussetzung der Ratenzahlung.
c) Verfahren, in Mietsachen bei Versagung der zeitweise Aussetzung der Mietzahlung.
d) Widerspruchsverfahren bei Versagung öffentlicher Covid-19 Hilfen.
e) Kündigungsschutzverfahren in Covid-19- und sonstigen damit verbundenen individualarbeitsrechtlichen Verfahren.
5. Regelungen zur Unternehmensinsolvenz und Gesellschaftsrecht.
• Befreiung von der Insolvenzantragspflicht bis zum 31. Dezember 2020 und Aussetzung von Gläubigeranträgen.
• Wiederzulassung der Änderung eines festgestellten Insolvenz- oder außergerichtlich vereinbarten Zahlungsplans bei Nichterfüllung im Verlaufe eines Jahres nach Ausrufen des Alarmzustandes.
• Aussetzung der Verpflichtung zur Beantragung der Liquidation wegen Unmöglichkeit der Erfüllung eines Insolvenzplanes für die Dauer von einem Jahr nach Ausrufen des Alarmzustandes, soweit der Schuldner einen Antrag auf Änderung des Plans stellt.
• Möglichkeit der Neuverhandlung einer gerichtlich genehmigten Refinanzierungsvereinbarung, auch sofern der Antrag weniger als ein Jahr zurückliegt, wenn der Antrag auf Neuverhandlung innerhalb eines Jahres seit Ausrufen des Alarmzustandes gestellt wird.
• Leistungen von Personen in einer besonderen Nähebeziehung zum Konkursschuldner können als ordentliche, nicht nachrangige Konkursforderungen anerkannt werden, wenn das Konkursverfahren innerhalb von zwei Jahren nach Ausrufen des Alarmzustandes eröffnet wurde.
• Vorrangige Bearbeitung von folgenden konkursrechtlichen Inzidentverfahren für die Dauer von einem Jahr nach Ausrufen des Alarmzustandes:
a) Arbeitsrechtliche Angelegenheiten
b) Veräußerung von Produktionseinheiten
c) Insolvenzplanvorschläge oder Anträge auf Änderung von Insolvenzplänen
d) insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen
e) Anträge auf Genehmigung einer Refinanzierungsvereinbarung oder auf deren Änderung
f) Vorläufige Maßnahmen zur Erhaltung der Insolvenzmasse
• Im Verlauf des aktuellen Geschäftsjahr 2020 erlittene Unternehmensverluste bleiben bei der Feststellung des Vorliegens des Auflösungsgrunds der Unterkapitalisierung gemäß Artikel 363.1 e) des Gesetzes über die Kapitalgesellschaften unberücksichtigt.
Fazit Coronavirus Spanien – Justiz:
Nach den in verschiedenen Rechtsgebieten verabschiedeten Eilmaßnahmen sieht der „Plan zum Übergang in eine neue Normalität“ der spanischen Regierung neben einem schrittweisen, abgestuften Abbau der in den letzten Wochen getroffenen Maßnahmen und künftigen Beschränkungen Maßnahmen vor, mit denen die Justiz den neuen gesundheitsbehördlichen Anforderungen begegnen soll. Es sind allerdings erhebliche Zweifel angebracht, ob diese dem gewachsen sein wird.
Zwar war es schon im Jahre 2015 zu insgesamt 9 Reformen der spanischen Zivilprozessordnung gekommen, welche eine Modernisierung des spanischen Zivilprozesses u.a. mit der Einführung von neuen digitalen Mitteln zum Ziele hatte. Und tatsächlich kam es zu Neuerungen wie der Einführung der elektronischen Zwangsversteigerung, der “Subasta judicial electrónica”. Allerdings war die spanische Justiz bereits vor der Coronakrise in weiten Teilen personell und sachlich mangelhaft ausgestattet. Die nun vorgesehenen Maßnahmen würden zum einen umfangreiche bauliche Veränderungen wie auch solche im Informatikbereich erforderlich machen. Abgesehen von der Problematik der Herkunft der damit verbundenen Investitionen, so stellt sich die Frage, wenn schon bisher es häufig unmöglich war, eine Zeugenvernehmung per Videokonferenz zu organisieren, auf welche Weise – zeitnahe – die Abhaltung von ganzen Gerichtsverfahren unter Beteiligung von Richtern, Rechtsanwälten, Prozessagenten, Mandanten, Zeugen und Sachverständigen erfolgen soll.
©2020 Verfasser Coronavirus Spanien – Justiz: Frank Müller, Rechtsanwalt und Abogado (Rechtsanwalt Spanien), Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht